ARD: Die Weltlage ist angespannt, und Deutschland ist gefragt. Mit Ihrem gestrigen Besuch in Kiew haben Sie ein deutliches Zeichen der Unterstützung gesetzt, aber wie geht es jetzt
weiter? Denn wenn Wladimir Putin nicht will, bewegt sich nichts in diesem Konflikt.
Merkel: Zur Lösung von Konflikten gehören natürlich immer zwei Seiten, und deshalb ist es auch gut, dass sich am Dienstag der russische Präsident Putin mit dem ukrainischen Präsidenten
Poroschenko trifft. Meine Reise nach Kiew galt auch der Vorbereitung eines solchen Treffens, das sicherlich auch in Minsk noch nicht den Durchbruch bringen wird, um da die Erwartungen
auch zu dämpfen. Aber man muss miteinander sprechen, wenn man Lösungen finden will. Ich bin fest überzeugt, das gibt hier nur eine politische Lösung, bei der die Europäische
Union aber auch Deutschland mithelfen wollen und sollten. Und eine militärische Lösung dieses Konfliktes wird es nicht geben. Deshalb sind politische Gespräche absolut notwendig.
ARD: Frau Bundeskanzlerin, Sie telefonieren ja regelmäßig mit Wladimir Putin, haben da den besten Draht aller Staats- und Regierungschefs in Europa, sagt man mindestens. Wissen Sie eigentlich genau, was er will? Rechnen Sie da noch mit einer Invasion?
Merkel: Die Lage ist sehr fragil. Das muss man sagen, und es geht ja jetzt nicht darum, dass ich Zukunftsprognosen anstelle, sondern zumindest das in unserer Macht Stehende tue, zusammen
mit dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier, zusammen mit der Europäischen Kommission, um die Themen, bei denen es um Meinungsverschiedenheiten und zum Teil
auch sehr unterschiedliche Ansichten geht, zu besprechen. Da ist es auf der einen Seite die Frage der Dezentralisierung der Ukraine, die Frage des Status der Regionen und vor allen Dingen
der Kommunen. Da ist zum zweiten die Frage der Handelsbeziehungen, des Freihandelsabkommens, und zum dritten haben wir natürlich auch eine gegenseitige Abhängigkeit im Bereich
des Gases. Und was wir nur sagen und ich auch als jemand, der erlebt hat, dass Deutschland die deutsche Einheit durchführen konnte in Frieden mit Einverständnis auch der Nachbarn,
sage das auch, dass das ukrainische Volk die Möglichkeit haben muss, seinen Weg zu wählen. Und die Europäische Union würde niemals, wenn die Ukraine sagt, wir gehen jetzt
zur eurasischen Union, daraus einen Riesenkonflikt machen, sondern wir setzen auf die freiwillige Entscheidung. Ich setze allerdings auch auf die territoriale Integrität der Ukraine und
darauf, dass alle Ukrainerinnen und Ukrainer gehört werden. Das ist aber auch der Plan des Präsidenten Poroschenko. Und jetzt muss man schauen, dass man aus dieser sehr gefährlichen
Situation herauskommt.
ARD: Heißt aber, eine EU-Assoziierung schließen Sie nicht aus?
Merkel: Wir haben jetzt erst mal ein Assoziierungsabkommen. Das haben wir mit vielen Ländern, zum Beispiel auch mit der Türkei, um das mal zu sagen. Also das ist etwas, ein Status
der engeren Nachbarschaft. Wir haben das östliche Partnerschaft genannt. Und ich will einen Weg finden, wie viele andere auch, der Russland dabei nicht beschädigt. Wir wollen
auch mit Russland gute Handelsbeziehungen haben. Wir wollen mit Russland vernünftige Beziehungen haben. Wir sind aufeinander angewiesen und haben im übrigen im Rest der Welt
noch so viele Konflikte, an denen wir gemeinsam arbeiten sollten, dass ich hoffe, dass wir ein Stück vorankommen. Aber ich kann es nicht voraussagen.
ARD: Auf die anderen Konflikte kommen wir gleich noch. Zunächst ein Blick auf den anstehenden NATO-Gipfel Anfang September. Da wird ein starkes Signal an die Adresse Putins erwartet. Die baltischen Staaten sind in Sorge. Was aber kann die NATO der Ukraine anbieten?
Antwort: Die baltischen Staaten sind in der Tat besorgt auch angesichts vieler Militärmanöver, die in ihren Grenzregionen stattfinden, und dort habe ich bei meinem Besuch in Lettland
deutlich gemacht, wir sind NATO-Partner, wir sind zur gegenseitigen Verteidigung verpflichtet. Der Artikel 5 ist ein Beistandsartikel für alle NATO-Mitgliedsstaaten. Dafür werden wir
sozusagen Maßnahmen beschließen, die sicherstellen, dass die NATO die Fähigkeiten dazu hat, auch wenn es notwendig ist, schnell zu reagieren. Aber ich hoffe natürlich, dass es nicht
dazu kommt. Nur die Fähigkeiten muss man schon haben. Der Ukraine können wir in bestimmter Weise Kooperation anbieten. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht auf
der Tagesordnung. Es gibt einen Ukraine-NATO-Rat. Dazu wird der Präsident Poroschenko auch nach Cardiff, nach Großbritannien, kommen. Aber wie gesagt, es geht nicht um eine
Mitgliedschaft.
ARD: Frau Bundeskanzlerin, wenn der Konflikt jetzt noch länger anhält, Sie haben es vorhin schon als Stichwort genannt, was bedeutet das für die Energieversorgung? Wird es dann eng, wird es dann hier im Winter kalt?
Merkel: Also, wir haben auch als Europäische Union ein äußerstes Interesse daran, dass die Gasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine geklärt werden, denn die Transitleitungen
gehen zum großen Teil durch die Ukraine, und auch die Speicherkapazität der Ukraine ist in bestimmter Weise notwendig für die Versorgung der europäischen Länder oder vieler europäischer
Länder. Ich sehe jetzt noch kein, sozusagen, rotes Warnsignal, aber es drängt, dass wir die Verhandlungen zum Abschluss bringen.
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